Anatomie eines Konzeptalbums
Deutschlands gefährlichster Musikjournalist Linus Volkmann hat eine wunderbare Einführung zu unserer am 11.11.2016 erscheinenden LP ALKOHOL verfasst:
Angelika Express haben sich noch nie mit der popbranchigen Mittelmäßigkeit aufgehalten. Doch dieses Jahr nun verlegen die Kölner ihren allgegenwärtigen Ermächtigungseifer auf‘s nächste Level – und präsentieren nicht weniger als eine monothematische Platte über das Phänomen des Rauschs. Hochverdichtete Powerpop-Songs über Cocktails, Kurze, Kater, Euphorie und Untergang ergeben eine der erstaunlichsten Veröffentlichungen des Jahres.
Das Konzept-Album ist der letzte große Monolith in einer immer kleinteiligeren Rockkultur, es besitzt immer etwas Prätentiöses, ja, etwas zutiefst Monströses.
Nicht zu Unrecht, schließlich kommt wenig Freude auf, wenn irgendwelche Typen mit schlechten Frisuren verkünden: „Das ist unser großes Werk über den Weltfrieden und einen Waisenjungen namens Jonathan – neun Songs, die zusammen eine einzigartige Geschichte ergeben.“
Sorry, aber da denkt doch jeder: Dann lieber gleich „Tabaluga“! Und so hat das Konzept-Album die letzten Jahrzehnte abgewirtschaftet, ist längst nur noch eine Fußnote der Geschichte, eine irgendwann gänzlich vergessene Kunstform der Popmusik. Schade eigentlich. Denn die Idee von einer Platte, die mehr ist, als die Summe der einzelnen Teile, besitzt nach wie vor etwas sehr Reizvolles. Doch wer zur Hölle könnte dieser Nummer zeitgemäß auf die Sprünge helfen?
Willkommen an der Theke am Ende des Regenbogens, willkommen bei Angelika Express und ihrem Konzept „Alkohol“. 15 Stücke zum Thema Trinken. Es geht um den Tag danach („Hang over Annelore“), das Mittendrin („Das Biest ist frei“), die Wehmut („Kohle für Cocktails“) oder auch nur um bis zur funkelnden Essenz eingeschmolzenen Hit-Miniaturen („Elf Kölsch in 11 Sekunden“). Poppunk-Songwriter-Legende Robert Drakogiannakis ist dabei der Rausch allerdings nicht zu Kopf gestiegen, natürlich reklamieren seine Band und er hier nicht das Erbe von Queensrÿche „Operation Mindcrimce“ oder „Tommy“ von The Who für sich. Die für die Band typische ironische Brechung wohnt dem Projekt genauso inne, wie einfach der ausagierte Spaß, ganz bewusst das Korsett des gängigen Album-Narrativs zu sprengen.
„Ich hatte mal eine ganz krasse Zeit,“ erzählt Robert, „da war ich wegen gebrochenem Herzen sieben Nächte pro Woche im Kölner Sixpack – manchmal mehr unter dem Tisch als aufrecht am Tresen. Ich kann und will das gar nicht glorifizieren, allerdings habe ich in all den Kneipengesprächen sehr viel gelernt. Alkohol ist einfach ein Katalysator, er bringt die geilsten Seiten bei Leuten nach oben oder eben auch ganz fiese Abgründe.“ So flossen über die Jahre immer mal wieder Songs zum Thema aus Roberts hochprozentiger wie spitzer Feder, den bekanntesten stellt vermutlich die Hymne „Du trinkst zuviel“ dar. Doch als sich diesmal schon zu Anfang einiges an Textmaterial über Alkohol sammelte, war klar, jetzt muss es das ultimative Angelika-Express-Konzept-Album dazu auch geben. Diese Band ist einfach zu kreativ fürs mediokre Kleinklein – und vor allem auch zu vielschichtig.
Sicher haben Angelika Express in der Vergangenheit auf Tour immer ein paar Backstage-Partys mehr als andere Bands aufgestellt, dennoch ist es kein Ansinnen, hier nun einfach eine Ode an den Saufzwang mit bundeswehrmäßig entstellten Gesichtszügen anzubieten. Im Gegenteil, denn nie ist man tiefenschärfer gewesen in den Texten, die Spielfläche der Idee macht es möglich. Sie gibt Angelika Express bisher ungekannten Raum, aus ihrem spöttisch und stets leicht übergeschnappten Blickwinkel ein detailreich ausgestattetes Panorama-Bild zu gestalten. Das Ganze wird so zu einer Mischung aus Hieronymus Bosch und Walt Disney.
Einzig der Song „Für Dich“ bricht die Gesamt-Mechanik bewusst auf, da er den Rausch nur als Pointe nutzt und sich sonst mit der überfälligen Demontage von Acts wie Revolverheld beschäftigt. Dienstleistungs-Pop, der verkitscht wie berechnend Gefühle simuliert? Den schubsen Angelika Express genüsslich von der Straße – auch nüchtern.
Apropos nüchtern: „Eigentlich externalisiert das Album für uns ja eher den Rausch, als ihn heraufzubeschwören“, erzählt Robert und nippt an seinem Grapefruit-Weißbier, „wir haben zwar immer noch diesen Hang zum Extremen, aber so wild treiben wir es nicht mehr. Na, dafür haben wir ja jetzt auch die Platte.“ Wer in dem Satz eben übrigens über das Wort Grapefruit-Weißbier stolperte, tat dies völlig zu Recht. Solche Getränke sind mittlerweile erlaubt? Armes Reinheitsgebot. Doch für Angelika Express ist es ein passendes Statement, denn auf dem Album geht es nicht um neobiedere Status-Symbole wie den guten Whiskey oder den teuren Wein – so FDP wird man auch im fünfzehnten Bandjahr niemals sein. Vielmehr geht es um altersübergreifende teenage kicks und das unkaputtbare Drama – beide liegen oft gespenstisch nahe zusammen. Es geht um Selbstzucht und Selbstentgrenzung. Es geht um mehr Spaß und mehr Hits als sich das nachmittägliche Formatradioprogramm träumen kann.
Angelika Express haben mit „Alkohol“ ihr Opus Magnum abgeliefert (lies: Prost!). Aufgenommen im eigenen Studio in Köln-Mülheim stellt es eine Wiederauferstehung des Konzept-Album-Prinzips dar – unter den ureigenen Bedingungen der Band. Eine Platte zum Staunen. Doch sobald eingezählt wird, legt sich jenes und wird zu dem, was die Band ohnehin themenübergreifend ausmacht: Pure Energie.
Text: Linus Volkmann
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